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Massive russische Desinformationskampagne gegen Europa zu erwarten

Der russische Krieg, der in Form einer vollständigen Invasion der Ukraine stattfindet, kam nur für manche überraschend. Tatsächlich hat die russische Propaganda bzw. die “offizielle Position” dies bis zum Ende bestritten: “Es wurde von einem Abzug der russischen Truppen gesprochen, die Kriegsvorbereitungen wurden geleugnet und die Motive für den Krieg, der dann trotzdem kam, haben sich massiv gewandelt.” 

Tatsächlich sprach der russische Präsident im Laufe der Eskalation des Konflikts der immer öfter von einem angeblichen “Genozid” in der Ukraine und Neonazis in der Regierung. Beide Behauptungen entsprechen einer klaren Desinformationspropaganda, um das eigene Volk auf die Aggression einzustimmen. Präsident Selenskyj ist ein russischsprachiger Liberaler jüdischer Herkunft aus einer Region der östlichen Ukraine. Er ist weder ein “Neonazi”, noch gab es irgendwo in der Ukraine einen “Genozid”. Ebensowenig hat die Ukraine einen Angriff auf die von Russland gegründeten “Volksrepubliken” im Donbas geplant. Aber all diese Propagandalügen, die auch von seinen Diplomaten verbreitet werden,  führt Putin jetzt als Gründe für seinen Einmarsch in die Ukraine an.

Was Europa jetzt erwartet

Europa reagiert wie bereits 2014 mit Sanktionen, dieses Mal allerdings mit ungleich härteren. Des Weiteren wird die Ukraine von einigen Ländern mit Waffenlieferungen zu ihrer Verteidigung unterstützt. Aus der Vergangenheit können wir folgendes Verhalten der staatlichen russischen Desinformations-Maschinerie ableiten (chronologisch).

1) Massive Desinformation zum Thema Ukraine (Dämonisierung, Versuch Empathie zu senken)

2) Massive Desinformation gegen demokratische Strukturen innerhalb der EU

3) Stärkung aller politischen Ränder, antidemokratischer Bewegungen

4) Russische Propaganda reagiert anlassbezogen und nutzt Ereignisse für ihre Zwecke aus

Europa muss gut vorbereitet sein: Diese Angriffe können mit vermehrter Vermittlung von Medienkompetenz und Awareness für die von Russland ausgehende Propaganda als Ganzes so weit wie möglich abgewehrt werden.  

Versuche russisches Publikum zu erreichen erweisen sich als schwierig

Uns liegen zahlreiche Berichte von Ukrainerinnen und Ukrainern vor, die mit russischen Social-Media Usern das Gespräch suchen, aber meist an deren jahrelanger Indoktrinierung der Geschichten des russischen Staatsfernsehens scheitern. In einigen Fällen sprechen auch Familienmitglieder nicht mehr miteinander. Besonders tragisch: Nicht einmal russischen Staatsbürgern, die gerade selbst in Kharkiv (im Osten der Ukraine) vor Beschuss flüchten, wird von deren eigenen Familie geglaubt. Es gibt aber auch Beispiele, wo ein Umdenken stattgefunden hat: “Ich habe meine Freundin angerufen und ihr auf emotionale Weise klar gemacht, dass sie etwas tun muss und auch alle anderen informieren soll. Jetzt schreibt sie regelmäßig weitere User an, um sie über den Krieg zu informieren.” sagt eine Ukrainerin in Wien, deren Mutter noch in der Ukraine ist.

Kreative Ideen, um gegen die russische Propaganda anzuschreiben

Das russische soziale Netzwerk “Vkontakte” ist eines der Hauptschlachtfelder im “Informationskrieg”. Ukrainer und oppositionelle Russen, die valide Informationen zum Krieg in der Ukraine verbreiten, werden meist rasch blockiert und die entsprechenden Profile gelöscht. Aus dieser Not heraus suchte man alternative Wege, die russische Bevölkerung zu erreichen. Dazu gehört das Verfassen von Restaurantbewertungen, welche Informationen zum Krieg enthalten sowie Datingportale, um den Dialog herzustellen und E-Mails, die gerade eine Renaissance erfahren. Inzwischen hat die russische Regierung sogar Facebook blockiert, unorthodoxe Wege der Informationsverbreitung spielen daher eine immer größere Rolle.

Dietmar Pichler
Desinformations-Analyst, spezialisiert auf russische Desinformation in Europa, bereist die Ukraine seit 2011 und pflegt diverse Kontakte zu Journalisten und Zivilgesellschaft vor Ort.